Heute noch schnell die Präsentation fertig machen, auf dem Heimweg die Telefonkonferenz im Auto erledigen und abends gehen dir im Bett immer noch die E-Mails durch den Kopf – kommt dir das bekannt vor? In meiner Arbeit mit Führungskräften sehe ich es fast täglich: Stress gehört für viele zum Alltag.
Nein, das ist kein individuelles Versäumnis, sondern ein weit verbreitetes Phänomen, das sich durch viele Ebenen der heutigen Arbeitswelt zieht. Doch gerade als Führungskraft ist es wichtig, die eigenen Warnsignale ernst zu nehmen. Denn nur wer auf sich selbst aufpasst, kann auch für sein Team oder das Unternehmen nachhaltig gute Arbeit leisten.
Warnsignale: Woran du chronischen Stress erkennst
Dein Körper und deine Psyche sind eigentlich ziemlich gute Frühwarnsysteme. Sie senden klare Signale, wenn die Belastung zu hoch wird. Diese Anzeichen zu kennen, kann dich davor bewahren, in ein handfestes Burnout zu rutschen.
Ich höre das in meinen Coachings immer wieder: „Bastian, ich schlafe furchtbar schlecht“, „Ich bin ständig gereizt“, „Ich kann mich nur schwer konzentrieren“ oder „Eigentlich funktioniere ich hauptsächlich.“ Vielleicht bist du auch öfter erkältet als früher oder wachst morgens wie gerädert auf. Das ist kein Zufall, denn Dauerstress schwächt das Immunsystem und raubt dir die wichtigen Erholungsphasen.
Auch auf der mentalen Ebene macht sich die Überlastung bemerkbar: innere Unruhe, kreisende Gedanken, nagende Selbstzweifel oder das Gefühl „Ich schaffe das alles nicht mehr“. Manche ziehen sich zurück, sagen immer häufiger Treffen mit Freunden ab und haben Hobbys vielleicht schon aufgegeben. Andere greifen vielleicht zu schnellen „Belohnungen“ wie dem Glas Wein zu viel am Abend. All das sind Alarmsignale, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Leider neigen viele dazu, diese Vorboten zu lange zu ignorieren – nach dem Motto „Augen zu und durch“ –, bis irgendwann gar nichts mehr geht.
Warum Dauerstress so gefährlich ist
Vielleicht denkst du jetzt: „Ein bisschen Stress gehört doch dazu.“ Das stimmt. Kurzfristiger, akuter Stress ist auch nicht das Problem. Im Gegenteil, er ist auf der einen Seite kaum vermeidbar und kann uns sogar zu Höchstleistungen anspornen und uns helfen, an Herausforderungen zu wachsen.
Aber die Dosis macht das Gift. Wenn aus der Ausnahme der Dauerzustand wird, wird es gefährlich. Unser System ist nicht dafür gemacht, ständig unter Volllast zu laufen. Die Folgen können gravierend sein, von Bluthochdruck über eine erhöhte Infektanfälligkeit bis hin zu einem handfesten Burnout – diesem Zustand tiefer Erschöpfung und innerer Leere.
Vielleicht kennst du das ja auch von dir selbst: Der Nacken ist ständig verspannt, Kleinigkeiten bringen dich auf die Palme und die Arbeit, die dir mal Spaß gemacht hat, fühlt sich plötzlich nur noch wie eine Last an. Spätestens hier heißt es, innezuhalten. Dein Körper gibt dir diese Signale nicht, um dich zu ärgern, sondern um dich zu schützen. Nimm sie ernst.
Wie es besser werden kann: Wege aus dem Stresskreislauf
Die gute Nachricht ist: Du bist dem Stress nicht hilflos ausgeliefert. Oft sind es schon kleine Veränderungen, die eine große Wirkung entfalten. In meiner eigenen Zeit als Geschäftsführer und heute in der Begleitung von Unternehmern und Führungsteams habe ich eines gelernt: Erfolgreiche Führung bedeutet nicht, sich selbst aufzuopfern, sondern bewusst und klug mit den eigenen Ressourcen umzugehen.
Hier sind ein paar Ansätze aus meiner Praxis, die sich bewährt haben:
- Erkenne an: Du bist mehr als dein Job.
Viele Führungskräfte identifizieren sich so stark mit ihrer Rolle, dass jeder berufliche Rückschlag zu einem persönlichen Drama wird. Mach dir bewusst: Dein Wert als Mensch hängt nicht von deiner Produktivität ab. Du bist auch Partner, Freund, Tochter oder Sohn, vielleicht Mutter oder Vater. Ein Geschäftsführer, mit dem ich gearbeitet habe, hat sich bewusst wieder seinem alten Hobby, dem Modellbau, zugewandt. Er meinte, diese Stunden im Keller, in denen es nur um Präzision und Geduld ging, hätten ihm geholfen, die Probleme in der Firma mit viel mehr Abstand zu sehen. Wenn du dich nicht zu 100 % über den Job definierst, verlieren berufliche Schwierigkeiten einen Teil ihres Schreckens. - Ziehe klare Grenzen und schaffe dir echte Auszeiten.
Der Gedanke „Ohne mich läuft der Laden nicht“ ist ein gefährlicher Treiber für Dauerstress. Es mag paradox klingen, aber meine Erfahrung zeigt: Führungskräfte, die bewusst Grenzen setzen und auch mal nicht erreichbar sind, treffen langfristig die besseren und kreativeren Entscheidungen. Unser Gehirn braucht das und die Welt geht nicht unter, wenn du abends das Diensthandy ausschaltest. Im Gegenteil: Indem du deine Akkus auflädst, sicherst du Leistungsfähigkeit. Trau dich also, auch mal Nein zu sagen: keine Meetings in der Mittagspause, der Samstag bleibt frei, nach 19 Uhr werden keine Mails mehr beantwortet. Diese Grenzen schützen dich. Und nur wenn es dir gut geht, kannst du für dein Team da sein. - Ändere deine Perspektive: Versteh den Stress als Signal.
Ein komplett stressfreies Leben ist eine Illusion. Aber du kannst lernen, anders mit Druck umzugehen. Statt Stress nur als Feind zu betrachten, sieh ihn als Information. Was will mir dieser Stress gerade sagen? Vielleicht, dass du Aufgaben besser delegieren solltest? Oder dass dir Schlaf fehlt? Unsere Haltung zum Stress entscheidet maßgeblich darüber, welche Macht er über uns hat. Ich gebe meinen Klienten oft eine kleine Übung mit auf den Weg: Halte im nächsten Stressmoment kurz inne und frage dich: „Welche Fähigkeit kann ich trainieren, wenn ich jetzt anders mit dieser Situation umgehe?“ So gibst du dem Stress einen Sinn und holst dir ein Stück Kontrolle zurück. - Schöpfe Kraft aus anderen Lebensbereichen.
Ein stabiles soziales Netz ist vielleicht der stärkste Puffer gegen Stress, den es gibt. Wenn im Job alles drunter und drüber geht, sind es oft die anderen Rollen in deinem Leben, die dir Halt und Energie geben. Überleg mal: Wie sehr lebst du deine Rollen als Partner, Vater oder Mutter, Freund oder Vereinsmitglied? Ein Abend mit guten Freunden, ein Ausflug mit der Familie oder eine Runde Sport – solche Erlebnisse füllen deinen Akku und erinnern dich daran, dass dein Leben mehr ist als Bilanzen und Kundentermine. Oft relativieren sich die Probleme im Büro, wenn man etwas Abstand gewinnt. Und wer weiß, vielleicht kommt dir ja beim Waldspaziergang genau die zündende Idee, nach der du im Büro so lange gesucht hast.
Fazit: Hol dir Unterstützung, wenn der Stress dich festhält
Stress als Führungskraft ist normal, aber er darf nicht zum Dauerzustand werden. Die Warnsignale zu kennen und rechtzeitig gegenzusteuern, ist entscheidend, um gesund und leistungsfähig zu bleiben.
Natürlich passieren solche Veränderungen nicht über Nacht. Alte Muster abzulegen, erfordert Übung und Geduld. Und vor allem: Du musst diesen Weg nicht alleine gehen. Und es ist ein Zeichen der Stärke und Resilienz, zu wissen, wann Unterstützung hilfreich ist. Wenn du merkst, dass du allein im Hamsterrad feststeckst, hole dir einen neutralen Blick von außen. In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, wie schnell Erleichterung eintritt, wenn Klienten Platz für ihre Themen bekommen und merken, dass sie nicht alleine damit sind.
Warte am besten nicht, bis dein Akku komplett leer ist. Fang mit kleinen Schritten an. Denn am Ende profitieren alle davon, wenn die Führungskraft gesund, fokussiert und mit sich im Reinen ist – du selbst, dein Team und dein Unternehmen.

